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Freie Liebe - Teil 2 - Gegenwart

Gegenwart - Teil1
Geschichte: 18-19. Jhdt
Geschichte: Die 60er- 90er Jahre


Inhalt

  1. Welche psychosozialen Bedingungen ermöglichen die "Freie Liebe" und "Zweierliebe"?

  2. Vom Umgang mit Eifersucht

  3. Neue Wege, neue Chancen

  4. Literatur

 

Welche psychosozialen Bedingungen ermöglichen die "Freie Liebe" und "Zweierliebe"?

"Freie Liebe" verstanden als ein Leben in sexuell nichtexclusiven Beziehungsformen nimmt in Quantität (und Qualität?) generell an Bedeutung zu. Neuere Untersuchungen zeigen, dass tendenziell immer mehr Menschen seit den 60er Jahren mehr und mehr diese Art von Liebe in Freiheit leben. So können 34% Männer und Frauen zwischen 16 und 39 Jahren sich eine Liebesbeziehung (Ehe) ohne beiderseitige Treueverpflichtung im konventionellen Sinne vorstellen (1988). Desweiteren ergibt sich, dass mindenstens jede vierte Ehe von außerehelichen Beziehungen tangiert wird und in den USA betreffe diese Tatsache sogar jede zweite Ehe (vgl. Peuckert 1991, 170). Der Soziologe Rüdiger Peuckert stellt hierzu fest:

"Traut man den empirischen Ergebnissen zum sozialen Wandel von sexuellen Verhaltensweisen, so läßt sich international einstellungsmäßig und im faktischen Verhalten ein Trend in Richtung zunehmender Freizügigkeit konstatieren. Befragt nach ihrer Einstellung hielten z.B. 1966 über 60% der Studenten und Studentinnen außerehelichen Geschlechtsverkehr von Frauen für unzulässig. 1981 galt dies nur noch für 18% der Studenten und 11% der Studentinnen (...) Besonders bei den Frauen ist eine starke Zunahme permissiver Einstellungen (z.B im Hinblick auf sexuelle Vorerfahrungen/Virginität des Partners, außereheliche Beziehung, Homosexualität) festzustellen. Die sexuelle Untreue in Partnerbeziehungen, die 1966 noch ein Tabuthema war, hat 1981 viel von ihrer Stigmaqualität eingebüßt. Und vermutlich wird sich dieser Trend in Richtung einer Aufweichung monogamer Verhältnisse fortsetzen, und zwar trotz Aids (...)" (171).

Die Qualität eines solchen "Freiheits-Verhaltens" läßt aber noch zu wünschen übrig. Noch immer herrscht das "heimliche Fremdgehen" vor. Das heißt auch, dass die Einstellungen in Bezug auf außereheliche Kontakte generell konservativer als das praktizierte Verhalten sind. So werden außereheliche Beziehungen auf der Basis von Lug, Trug und Verstellung riskiert und damit viel Leid provoziert. Dennoch glaube und hoffe ich, dass sich hier der Trend auch zu mehr Qualität hin entwickelt, was bedeuten könnte, dass mehr und mehr Menschen versuchen, freie Liebe und Zweierliebe miteinander auf der Basis von Wahrheit, Offenheit und Vertrauen zu arrangieren. Die neuere Literatur hierzu sowie die in Gesprächen feststellbare Dringlichkeit und Sehnsucht in Bezug auf dieses Thema, könnte diesen Trend ein Stück weit schon bestätigen. Das ist zumindest mein subjektiver Eindruck.
Warum riskieren mehr und mehr Menschen diese Liebe in Freiheit? Weil dies die Liebe in der 'freisetzenden' Moderne es so deutlich will! Sprich: Die Liebe will Abenteuer und Treue, Abwechslung und Dauer, Freiheit und Bindung. Das läßt sich zwar wissenschaftlich objektiv nicht beweisen, aber als Phänomenologie der Liebe seit der frühen Menscheitsgeschichte aufzeigen. Gerade heute, im Zeitalter der Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen, sind Beziehungen hierin besonders gefährdet, weil die nicht auf Liebe beruhenden Kriterien der PartnerInnenwahl (Sachehe) kaum noch eine Rolle spielen. Der Grundkonflikt, den die Liebe mit sich bringt, macht sich so heutzutage verstärkt bemerkbar: Einerseits drängt die Sehnsucht nach stabilen Liebesbeziehungen und der Wunsch, mit einem/einer LiebespartnerIn das Leben dauerhaft zu gestalten und mit Kindern fruchtbar zu werden, auf Erfüllung. Andererseits steht dagegen die Sehnsucht nach einem ungebundenen Leben, nach Freiheit und wechselnden Beziehungen, die ebenso auf Erfüllung drängt. Somit sind Formen der Synthese beider Begehren auszumachen, die sowohl die schlechten Erfahrungen mit dem Zwangssystem der bürgerlichen Ehe berücksichtigt, als auch die mit der ideologisch verbrämten "freien" Sexualität, die in ihrer Beliebigkeit, narzistische Bindungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das Begehren nach Dauer, Bindung und wirklicher Liebespartnerschaft ungestillt läßt. Es gibt hier kein totales EntwederOder, sondern nur ein Sowohl-als-auch auf neuer Entwicklungsstufe. "Freie Liebe" und "Zweierliebe" sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich und brauchen einander.
Die im Menschen dialektisch strukturierten Daseinsanforderungen werden durch die gesellschaftliche Lage mit ihren Leitbildern entscheidend beeinflußt. Doch darum steht es sehr schlecht: Noch immer scheinen traditionelle Leitbilder vorzuherrschen, die einseitig die Werte der monogamen Ehe, ausschließlichen Treue usw. überbewerten, was letztlich des Guten zuviel ist und oftmals 'böse' endet. Will heißen: Zwischen diesen gesellschaftlichen Leitbildern und den Ergebnissen empirischer Erhebungen (in Bezug auf außereheliche Beziehungen) klafft ein Abgrund von Lügen, Betrügen, menschlichen Demütigungen und Verletzungen! Aufklärung tut hier not: Wie ist es möglich, neben einer Liebesbeziehung weitere ähnliche Liebesbeziehungen in unser Leben integrieren zu können und auf der Basis von Wahrheit, Offenheit und Vertrauen eine entsprechende Form des Zusammenlebens zu finden?
Aber vielleicht müssen wir uns hier auch vielmehr wieder unter Kontrolle halten und die Bedürfnisse nach sexuellem Abenteuer, Abwechslung... mit allen möglichen Mitteln in Schach halten, damit wieder Ordnung und eindeutige Moral herrscht! Die Tatsache, dass sich fast keiner an die traditionellen Leitbilder im praktischen Verhalten hält, bedeutet doch letztlich nur ein Wertezerfall bezüglich der wahren sittlichen Sexualordnung! Zurück zu Keuschheit und Askese! Die Realität zeigt doch: Der Mensch ist seiner Freiheit nicht fähig. Deshalb bedarf es einer Gewissensmoral mit sanktionierender Führung nach innen wie außen! Schlußendlich! Oder vielleicht doch nicht?
"Wahrheit in der Liebe, Sittlichkeit in der Sexualität, dauerhafte Teilnahme am anderen sind nur möglich, wenn für das Zusammenleben der Geschlechter offenere, freiere, aber trotzdem nicht weniger verbindliche Formen gefunden werden"(Duhm 1991, 86). Hm? Na gut, mal sehen! Aber wie das ganze? Welche Formen des Zusammenlebens ermöglichen die freie Liebe und Zweierliebe, eine Liebe, die - phänomenologisch gesprochen - sowohl Treue, Dauer, Bindung als auch Freiheit, Abenteuer, Abwechslung will?
Neben all den vielen heute üblichen Beziehungsformen, wie z.B. monogame Ehe,
Single-Dasein, 'getrenntes Zusammenleben', serielle Monogamie (Lebensabschnittspartnerschaft) bzw. sukzessive Polygamie (man/frau lebt eine Folge von Einehen und Beziehungszyklen) und weniger üblichen Beziehungsformen wie z.B. die (islamische) Mehrehe (vgl. Blau 1995) oder die "8er Ehe" (vgl. Joachim 1993), möchte ich mich vor allem auf die sexuell nichtexclusive Zweierbeziehung konzentrieren. Das Modell der sexuell nichtexclusiven Zweierbeziehung kommt in verschiedenen Variationen und Gewichtungen quantitativ in fast allen Beziehungsformen mehr oder weniger bewußt zur Geltung. Hierzu sind zwei Grundvarianten erkennbar: die offene oder versteckte sexuell nicht exklusive Beziehungsform.
Die versteckte, geheime Variante, das "heimliche Fremdgehen" ist die verbreiteste Verhaltensweise, die es hierzu gibt. Laut Statistik leben so etwa zwei Drittel der europäischen und nordamerikanischen Menschen. Eine Zweierbeziehung oder Ehe einzugehen bedeutet demnach für zwei Drittel, den/die PartnerIn belügen und betrügen zu müssen, zu dürfen, zu können? Dieses grausame Spiel der verletzten Heimlichkeiten und verlogenen Verstellungen hat leider eine lange Tradition. Zu hintergehen, zu schweigen und eine Lügenfassade aufrecht zuerhalten war und ist der Weg einer verkümmernden Liebe, einer Liebe, die sich mehr und mehr durch Angst, Feigheit, Dummheit, Gewissensmoral... auffressen läßt! Die versteckte Variante ist letztlich menschenverachtend, weil sie auf der Basis von Lug und Trug viel Leid provoziert und häufig einen Scherbenhaufen aus zerstörtem Vertrauen und veruntreuter Liebe hinterläßt. Diese Form entspricht auch der traditionellen männlichen Doppelmoral, die den Männern Liebesabenteur erlaubte, während gleichzeitig die (Ehe-)frauen in ihrer Sexualität monopolisiert und domestiziert wurden, was also eindeutig auf Kosten der (Ehe-)Frauen ging.
Einige Liebespaare versuchen sich heute mit einer Art gegenseitigen, offenen Doppelmoral zu arrangieren. Die zusätzliche Liebschaft außerhalb der Zweierbeziehung wird dabei dem anderen unter der Bedinung der Geheimhaltung zugestanden. Eine Abmachung also, die nicht zwangsläufig in Anspruch genommen werden muß und somit das Mögliche an einer weiteren Liebschaft nicht als unmöglich ausschließt. Hier wird nach dem Motto gehandelt: "Was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß." Kaum vorstellbar, dass dies auf längere Sicht gutgeht. Darf man/frau hier doch seineN PartnerIn die Freude und auch das Leid mit einer zusätzlichen Liebschaft nicht mitteilen. Und kommt dann dort nicht irgendwann der Umkehrpunkt, wo alles, was ich nicht weiß, was mir hinterbracht werden könnte, worauf ich durch Zufall kommen könnte, mich besonders heiß macht?
Kommen wir zur offenen sexuell nichtexklusiven Zweierbeziehung. Die theoretisch bestechende Idee einer zwar dauerhaften, aber offenen mit anderweitigen Liebschaften verbundenen Lebenspartnerschaft sehen viele wegen den praktischen und emotionellen Problemen als nicht praktizierbar an. Wohlgemerkt: Faktisch ist das "heimliche Fremdgehen" massenhaft verbreitet, obwohl die Einstellungen hierzu eindeutig konservativer und widersprüchlicher sind. Welche Scheinmoral hier noch herrscht! So gesehen ist es also vielen Menschen möglich, wenn auch auf der Basis von Lug, Trug und Verstellung, eine oder mehrere zusätzliche Beziehungen zu leben. So weit, so schlecht! Ist es denn nun möglich, freie Liebe und Zweierliebe auf der Basis von Wahrheit, Offenheit und Vertrauen so zu arrangieren, dass es allen Beteiligten dabei gutgeht? Gibt es somit ein Zusammenleben, wo auch die sexuelle Zuwendung eines zu einem anderen in einem dritten keine Verlustangst, keine Lähmung und keinen Haß mehr hervorruft? Aus eigener Erfahrung kann ich überzeugt sagen: Ja, unter bestimmten Voraussetzungen ist dies möglich. Das ist zwar für mich (noch) nicht der Himmel auf Erden, aber allemal himmlischer als das, was ich bisher kennengelernt habe: Und wenn ich mir vorstelle, dass in Zukunft immer mehr Menschen sich in dieser Freiheit begegnen könnten, dann... Stop!! Nun komm aber mal wieder auf den Boden der Tatsachen! Na gut. Frage: Welche allgemeinen Voraussetzungen ermöglichen die freie Liebe und Zweierliebe? Antwort: ??? Die Antwort auf eine solch global gestellte Frage kann nur dürftig und entsprechend unvollkommen ausfallen. Zu komplex, zu neu sind die Ideen und der Lebenszusammenhang, der jetzt damit verbunden werden kann. Das Schwierige ist, dass für den Fall des Falles in der Praxis noch kein konkret entschlüsselbarer Verhaltenskodex zur Verfügung steht. Die Last der Tradition im Denken und Tun macht die neue Einstellung hierzu entsprechend problematisch. Das heißt: Das Erkennen und Deutlichmachen der Umorientierung eigener Beziehungsideale und der Erfahrung, unter welchen Psychosozialbeziehungen sie funktionieren, ist ziemlich schwierig. Letztlich heißt dies auch, dass das bisherige Zweierbeziehungs- und Familiesystem einen Wandlungs- und Entwicklungsprozeß in Verbindung mit neuen Lebensformen vollziehen muß, der eine Umwertung alter Werte und eine Neudefinition alter Rollen bedeutet, denen jedoch öffentliche Vorgaben in unserer Gesellschaft weitgehend noch fehlen. (Wenn auch - wie bereits aufgezeigt - sich dahingehend bereits schon eine Veränderung anzubahnen scheint).

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Vom Umgang mit Eifersucht

(Viele Grundgedanken hierzu stammen von Ekkehard von Braunmühl und Annette Böhm- vgl. Antipädagogik )

Für viele steht und fällt die Idee der "freien Liebe" mit dem Thema Eifersucht. An für sich seien die Gedanken zur "freien Liebe" ja richtig, jedoch bestünde die Schwierigkeit darin, solche Erkenntnisse des Verstandes auch konkret, praktisch, gefühlsmäßig "umzusetzen". So wird dann z.B. vom "Kopf" und vom "Bauch" geredet in dem Sinne, dass es gelte, bestimmte neue Ideen sich "in Fleisch und Blut" übergehen zu lassen oder sie zu "verinnerlichen". Ansonsten würden alte Gewohnheiten (z.B. Eifersuchtsgefühle) die besten Absichten des Bewußtseins oft durchkreuzen. Zudem reagieren viele hier resignativ: Ich bin halt so! Ich kann nichts machen! Was nicht sein kann, soll nicht sein! usw. usf. Hierzu möchte ich gleich sagen: Wer annimmt und sich einbildet, dass er aufgrund seiner Art und der Erziehung, die er/sie erleben mußte, nicht nur bis zur Gegenwart, sondern auch in Zukunft so und so bestimmt sei, gibt sich einem Fatalismus hin, der für die Freiheit und Selbstbestimmung keinen Raum läßt. Hier geht mensch eine fatale Sich-selbst-erfüllende Prophezeihung ein: Nicht die Erziehung und vergangene Erfahrungen allein halten gefangen, sondern auch der gegenwärtige Glaube, dass sie es täten, ist die wirkliche Ursache. Menschen, die sich nur einseitig als "Opfer" ihrer Vergangenheit und Erziehung sehen, werden es tatsächlich. Sie fühlen sich 'geprägt' wie eine tote Münze, allerlei Gefühlszwängen unterworfen, wie eine passive Sache, leidend zwar, aber machtlos ausgeliefert. Solche Menschen, die sich ausschließlich als Opfer der Vergangenheit sehen, sollten mal versuchen zu erklären, wie sie denn in Gegenwart und Zukunft zu "TäterInnen" werden wollen! Hier wird deutlich: Der Mensch besitzt die Freiheit, sich als unfrei zu denken. Ich denke eifersüchtig, also bin ich eifersüchtig! Und deshalb: Im Kopf entscheidet sich, ob ich eifersüchtig bin oder nicht, denn die Gedanken sind prinzipiell frei - und mächtig, wenn...? Ja wenn? Dazu später mehr. Zunächst wollen wir uns dem Phänomen der "Eifersucht" nähern:


Was ist Eifersucht?

Die Eifersucht - jene Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft - ist nicht eindeutig zu definieren. Ihre Erscheinungsformen sind vielfältig: Verlust- und Verlassenheitsangst, Angst vor Vergleich, Furcht vor Konkurrenz, Mißgunst, Haß, Mißtrauen, Minderwertigkeitsgefühle, Wunsch nach symbiotischer und dauerhafter Ausschließlichkeit, Bedürfnis nach ewig dauernder Erwiderung der eigenen Gefühle, die Sehnsucht nach Beständigkeit und konservierender Treue, die Projektion eigener Untreuetendenzen....
Die Eifersucht kann sich bis zum Wahnsinn steigern: Besessen bis zum (Selbst-)Mord! Die Zeitungen sind voll von solchen Berichterstattungen. Neuerdings wird berichtet, dass die Weltgesundheitsoraganisation WHO plane, Eifersucht in die Liste der psychosomatischen Krankheiten aufzunehmen. Die gesundheitlichen Folgen sind Schlaf- und Eßstörungen, Gereiztheit, unkontrollierte Wutausbrüche. Und auch das Mediziner-Blatt "Die Neue Ärztliche" hat verdeutlicht, wie bedrohlich die Formen der Eifersucht werden können: Die Folgen reichen von der Zerstörung der eigenen psychischen und sexuellen Integrität über die Gefährdung des Partners bzw der Partnerin durch verbale und körperliche Attacken bis hin zum Mord. (vgl. Spiegel special 5/1995 und Hessische Allgemeine v. 16. 1. 95)
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass das Denken von "freier Liebe" bei manchen geradezu Todesängste auslöst und auf absolute Abwehr stößt, wenn mensch sich nur vordergründig darauf bezieht und letztlich nicht als große Chance für die eigenen Möglichkeiten begreift. Aus Furcht vor der Freiheit Neues zu wagen, wird die Eifersucht dann oftmals pervertiert, indem sie als der "Beweis der wahren Liebe" angesehen wird, oder als "Leibwächter der Liebe" zählt, der darauf achtet, dass die Liebe nicht durch Untreue, Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit verloren geht. Hier verdrängt die moralische, angstbesetzte Einstellung die verstehende und erkennende Einstellung! Aufklärung tut not!


Woher kommt die Eifersucht? Ist sie natürlich oder kultürlich?

Ganz Coole und Schnelle haben bei dem Stichwort Eifersucht sofort eine Antwort parat: Besitzdenken. Und tatsächlich erscheint in vielen "Liebes"-Beziehungen unserer Konsumgesellschaft das Besitzdenken stark ausgeprägt zu sein: Da wird nach purer kapitalistischer Manier das Liebesobjekt als Besitz monopolisiert und privatisiert. Besitzdenken ist nicht ganz falsch, reicht aber für die Erklärung der Eifersucht keineswegs aus.
Aus den vielen psychologischen Büchern und Forschungsberichten zur Eifersucht, ergibt sich - zusammengefaßt - folgendes Bild: Die Eifersucht entsteht aus fehlender innerer Sicherheit und Ausgeglichenheit, und der daraus entspringenden Angst vor Verlust, dem Zukurzgekommen-Sein, der Einsamkeit und Lieblosigkeit. Diese hat ihre Ursachen wiederum in der frühen Kindheit: aufgrund unzähliger traumatischer Erlebnisse bezüglich den Trennungserfahrungen, dem Alleingelassensein, der Mißachtung, dem emotionellen Entzug, der Gleichgültigkeit ist bei vielen die Gutgläubigkeit und das Ur-Vertrauen tief verwundet worden, so dass der Verstand hinsichtlich seiner verletzten Seele fatale "Sicherungen" eingebaut (gelernt) hat: "Sei vorsichtig, wenn du liebst, halte deine gewonnene Liebe gut fest, damit sie dir nicht wieder verloren geht...." Oder im schlimmsten Fall: "Liebe ist nichts wert und bringt dir nichts, darum hasse, hasse, hasse..." Hierin sind wir wohl alle mehr oder weniger gebrannte Kinder. Hier ist man/frau schnell bei der Frage von Schuld. Doch Schuldzuweisungen bringen nichts. Ich unterstelle keiner Mutter und keinem Vater böse Absichten. Es geht hier vielmehr um Verstehen und Verständigung. Zum Beispiel könnte man/frau sich darüber verständigen, ob es sinnvoll ist, ein Kleinkind, wenn es schreit, auch mal absichtlich allein zu lassen, weil es ja bei zuviel Zuwendung verwöhnt werden könnte?
Das mit den Trennungs- und Isolationsängsten ist so eine Sache: Es ist erschütternd, wie kleine Kinder hochgradig empfindlich auf Trennung und Isolation reagieren, vor allem auch, wenn sie bereits durch vorausgegangene Trennungserfahrungen sensibilisiert worden sind. Zudem kommt noch die schreckliche Tatsache, dass in unserem Kulturkreis es eine gängige Erziehungsmethode ist, in Ausnutzung dieser Angst kleine Kinder zu einem willfährigen Verhalten zu nötigen. Die leise Drohung, sich dem Kind zu entziehen, ist noch immer die bequemste Methode für ErzieherInnen, das Verhalten des Kindes im erwünschten Sinne zu steuern. Wir sind verletzlicher durch Isolation, als wir glauben! Die durch unsere Erziehung gemeinhin stark ausgeprägte Selbstunsicherheit und Isolationsangst führt uns geradewegs in die Eifersucht. Die psychologische Konsequenz ist, dass in einer Liebesbeziehung der/die PartnerIn zu einem Umweltfaktor wird, der/die die Angstbewältigung garantieren soll. Die Verläßlichkeit und Berechenbarkeit des Partners hilft, dass man/frau sich auch stabil und verläßlich fühlen kann. So kommt es nicht selten zum Versuch, die latente Isolationsangst durch eine phobische Klammerbeziehung, die zudem noch moralisch verbrämt wird, zu beschwichtigen und zugleich zu verleugnen. Der heilsame Umgang mit Eifersucht (Isolations- und Trennungsängsten) ist von daher kein leichtes Spiel!
Aufgrund der eigenen 'Forschungen' bei sich selbst und in Bezug auf die Literatur zu diesem Thema, können wir zu dem Schluß kommen, dass Eifersucht in ihren bekannten Erscheinungsformen nicht naturgesetzlich ist, sondern die psychologische Konsequenz bestimmter Erfahrungen und deren Interpretationen! Die Frage, ob es möglich wäre, als Kind so aufwachsen zu können, dass die Grundlegung von Eifersucht dabei vermieden wird, ist schwierig zu beantworten. Jedenfalls können wir einen eindeutigen Zusammenhang sehen zwischen Erwachsenen, die bei sich die Liebe in Freiheit entwickelt haben, und dem, wie sie von daher auch mit Kindern umgehen. Sprich: Die freie Liebe auf der Basis von Wahrheit, Offenheit und Vertrauen hat gerade wegen dieser Basis hier entscheidende Konsequenzen auch für den Umgang mit Kindern. Zudem erscheint der Hinweis wichtig, dass die Probleme im Umgang mit Kindern auch auf gesellschaftlich bedingte Probleme zurückzuführen sind. Die moderne Kleinfamilie ist strukturell gesehen heillos überfordert, im Zusammenleben mit extremeren Gefühlen wie Wut und Aggressivität, Liebe und Trauer, Angst und Verzweilflung sinnvoll umzugehen. Statt dessen kommt es im Binnenklima zwischen Eltern und Kind häufig zu einer "Aufheizung der Gefühle", die nicht selten in Gewalt explodiert. Anderer Formen des Zusammenlebens müssen hier gefunden werden!

Wie kann mit Eifersucht umgegangen werden?

Ich habe hier bewußt nicht "gegen" geschrieben: Was können wir gegen die Eifersucht machen? Das Gefühl der Eifersucht können wir nicht einfach mit einem intellektuellen Gegenangriff auflösen: "Geh weg, du Ungeheuer, ich will dich nicht erleben, du machst mir das Leben so schwer!" Gegen Gefühle der Eifersucht anzukämpfen ist seelisch ungesund, die Seele wird sich wehren und 'mehr desselben' an Unlustgefühlen produzieren. Der Umgang mit der Eifersucht heißt: Um die Eifersucht herumgehen, sie von allen Seiten angucken, ihr zuhören, um nicht gelebt zu werden, sondern aktiv und bewußt zu leben - um nicht gegen die Eifersucht, sondern für sein Leben etwas machen zu können. Es geht also zunächst darum, mit der Eifersucht etwas anzufangen, aus der Eifersucht etwas zu machen. Dazu bedarf es eines aufgeklärten Verstandes, der um solche Dinge weiß. Aufklärung ist also angesagt!
Kann nun aber Aufklärung wirklich z.B. alte Gefühlsgewohnheiten ändern? Hier kommt es sehr darauf an, welche "Theorie der Veränderung" der jeweilige Verstand besitzt. Weil Selbsterhaltung die wichtigste Funktion der Seele ist, darf und kann sie nicht durch direkten Angriff verändert werden. Ein Verstand, der denkt, dass er nach dem Motto: "Bekämpfe dich selbst!", "Beherrsche dich!", "Reiß dich zusammen!", eine Veränderung erreichen könnte, wird hoffentlich daraus lernen, dass die Seele das so nicht will, während sie sich dabei heftig wehrt. Der Vorsatz, dass jemand mit "Willenskraft" und "Anstrengung" "sich ändern" bzw. "sich überwinden" will ist im Prinzip schon autosadistisch. Da hilft auch der Trick nicht, "sich selbst zu akzeptieren", um sich ändern zu können. Etwas ganz anderes ist es, einzelne Denkgewohnheiten und Denkweisen, Blickrichtungen... zu verändern, die man/frau selbst nicht erfreulich findet. Auf was es mir ankommt: Letztlich entscheidet das Verhältnis zwischen Verstand und Seele, ob es gelingt, aus der Eifersucht für sein Leben etwas konstruktives zu machen.
Jetzt holen wir uns ausdrücklich Ekkehard von Braunmühl zur Hilfe (besuche hierzu auch das Thema "Antipädagogik"), bei dem wir ungemein viel lernen können und den ich für einen der wichtigsten Aufklärer unserer Zeit halte: In seinem Buch "Zur Vernunft kommen. Eine Antipsychopädagogik" (1990) begründet er das Seele-Verstand-Modell, kurz: S/V-Modell, das praktisch gesehen derart nützlich sein kann, dass ich es hier nicht unterschlagen will.
Das S/V-Modelll ist so was wie eine wirkungsvolle und leicht verständliche "Betriebsanleitung" bzw. "Gebrauchsinformation" für das Zentralnervensystem, für das eigene Gehirn. Modern gesprochen: Eine neue Software für die Seele! Es ist ein gedankliches Konstrukt, das sich theoretisch etwas seltsam ausnimmt, aber von großem praktischen Nutzen ist. Hierbei handelt es sich also um eine gedankliche Annahme. Der Wert dieser Annahme wird sich in der praktischen Anwendung herausstellen - Bewährbarkeit!
Das Denken und Fühlen wird hier - gedanklich - radikal unterschieden (nicht getrennt!). "Alles Fühlen wird der Seele, alles Denken dem Verstand zugeordnet. Die Seele produziert ausschließlich Gefühle, der Verstand produziert auschließlich Gedanken. Dabei gelten als Gefühle sowohl rein körperliche Empfindungen - etwa Schmerzen im Daumen nach einer Verirrung des Hammers - als auch Emotionen wie Angst und Freude, und zwar unabhängig davon, ob sie vom Individuum bewußt wahrgenommen werden oder nicht. Als Produkte des Verstandes gelten alle rein geistigen Tätigkeiten - etwa das Lösen von Rechenaufgaben - und sonstige, nicht nur sprachlich gefaßte, Denkprozesse, ob bewußt oder nicht, einschließlich aller Vorstellungen/Phantasien/Erinnerungen etwa bildhafter Art" (Böhm/Braunmühl 1994, 143 und die nächsten Ausführungen).
Das Denkhirn und Fühlhirn, der Verstand und die Seele, werden als Subjekte und Dialogpartner angesehen. Eine Dialogmöglichkeit zwischen Seele und Verstand wird konstruiert. Und dies zu recht: Der Hirnforscher und Nobelpreisträger (1981) Roger Sperry weiß hierzu zu sagen: "Gedanke und Gefühl verschmelzen in gegenseitiger Achtung und stärken einander" (Sperrry 1985, 182) Darum geht es: Nur wenn Seele und Verstand miteinander kooperieren statt konkurrieren, ist es möglich, innere Autonomie, Freiheit und Frieden zu finden. Apropos "innere Freiheit": Freiheit ist ein paradoxes Phänomen: Die Bindung an die Idee der Freiheit! Innere Freiheit steckt in dem Phänomen Spiel: Im Wechselspiel, Zusammenspiel der beiden Systeme Verstand und Seele.
Konkrete Erfahrungen machen Seele und Verstand immer gemeinsam. Jedes Erlebnis hat seelische und geistige (verstandesmäßige) Lernaspekte. Im Begriff "Erfahrung" sind Verstandes- und Gefühlsanteile enthalten. Bezüglich der Gefühle (Seele) ist es klug, dass diese nur einfach zu respektieren sind. Es gilt: Die Seele hat immer recht! Bezüglich der gedanklichen (verstandesmäßigen) Anteile von Erfahrungen ist es wichtig zu begreifen, dass sie jederzeit zur Überprüfung stehen. Es gibt somit keine Fühlfehler, sondern nur Denkfehler!
Alle Erfahrungen lassen unterschiedliche, ja oft gegensätzliche Interpretationen zu. Man/frau kann zwar die Vergangenheit nicht ändern, aber man/frau kann sie im Lichte neuer Erkenntnisse oder z.B. im Rahmen eines neuen Paradigmas (Wahrnehmungsbrille) anders interpretieren, deuten, verstehen.
Damit leidvolle Erfahrungen sich nicht wiederholen, muß mensch bekanntlich "aus ihnen lernen". Doch für erfolgreiches Lernen braucht es geistige Freiheit und die ist nur möglich, wenn die Seele friedlich gestimmt ist. Keine Geistesfreiheit ohne Seelenfrieden! "Für den Frieden der Seele ist in erster Linie entscheidend, dass sie über einen seelenfreundlichen und das heißt: aufgeklärten Verstand verfügt. Es ist nicht Aufgabe des Verstandes, an der Seele herumzumeckern, sondern er hat ihre Signale zu beachten und in der Realität Wege zu erkunden, individuelle und soziale Freude zu mehren und individuelle und soziale Leiden zu mindern" (Braunmühl 1990, 137).
Der Verstand ist also das Werkzeug der Seele, aber wenn er sie falsch versteht, ist ihre Kommunikation die reinste Selbstquälerei. Wenn die Seele bei Eifersucht in heller Aufregung ist, der Verstand sie aber nicht genügend versteht und sie eher noch unter Druck setzt, sie drangsaliert, kritisiert, dann pervertiert (verrückt) der Verstand oftmals seine Fähigkeiten im Dienst der vermeintlichen (mißverstandenen) Interessen der Seele: Wer eifersüchtig ist, sucht berechtigte Gründe für seine Eifersucht. Die Eifersucht "färbt ab" auf die Gedanken. Das Gehirn wählt dann während der Wahrnehmung bestimmte - passende - Reize aus. D.h. die mißverstandene Seele beschränkt den Horizont des Verstandes, bindet seine Energien, verrückt seine Fähigkeiten, lenkt seine Konzentration auf den seelischen bedeutsamen Vordergrund: "Besessen vor Eifersucht!" Der Mensch "hat seinen Kopf verloren"! Hier entesteht ein regelrechter Teufelskreis der 'Eifersucht', der sich brems- und stoppresistent dreht, weil der entscheidende distanzierte Blick auf's Ganze fehlt, und man/frau so in einer gefühlsmäßigen Reiz-Reaktions-Automatik verharrt, die noch durch die subjektive Lerngeschichte der Kindheit (als "Hilfsmotor") "überreaktionsbereit" gemacht hat. Zudem schlagen alle Verbesserungsmöglichkeiten fehl, die "dagegen arbeiten" (Wille, Vorsätze) und werden perfiderweise selber zusätzlich zum "Problem des Problems". So weit muß es jedoch nicht kommen. In einem solchen Fall kann es nur noch darum gehen, durch Zufall oder durch ein "Gewußt wie!" auf einen Entscheidungspunkt zu kommen, ab dem man/frau die Ausichtsplattform wechseln kann. Die These ist, dass ein solcher Teufelskreis in vollem Bewußtsein nicht endlos weitergedreht werden kann. Das ist eine Fähigkeit, die mensch lernen kann, um so aus einem Teufelskreis einen Engelskreis zu machen.
Wer eifersüchtig ist, nimmt eingeengt wahr: Die Eifersucht fasziniert, will alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dem entspricht Aufmerksamkeitsmangel für alle anderen Lebensbereiche, die neue Erlebens- und Handlungsperspektiven ermöglichen könnten. Hier kann es nur noch um die Erweiterung der Wahrnehmung gehen im Wissen darum, dass im Bereich des Erlebens und der Gefühle nichts direkt, sondern vieles nur durch Um-Gang indirekt zu erkennen und zu ändern ist. Der Kontext ist wichtiger als der Text!
Wenn meine Seele "Eifersucht" meldet, dann kann bei mit z.B. folgendes abgehen, indem sich meine Seele und mein Verstand zusammen dialogisch und kooperativ ans Werk machen:
1. Seele zu Verstand: "He Du, versuche doch mal herauszufinden, worauf ich eifersüchtig reagiere und was ich damit will?"
2. Mein Verstand versucht, die Signale deutlich wahrzunehmen und die Gedankenzusammenhänge (Bilder, Phantasien, Erinnerungen....) in Bezug auf das Erleben der Eifersucht bewußt zu machen , also den inneren und äußeren Kontext deutlich zu erkennen.
3.Seele: "Jetzt schau doch mal, ob du was findest, was mich wieder aufheitern könnte, was mir neue, angenehme Erfahrungen verschafft, was mich die Dinge, Menschen, Ereignisse... in einem anderen Licht sehen läßt, was mich 'aufbaut'..." Mein Verstand untersucht die "Spiel"-Wirklichkeit auf Chancen, meine Seele wieder zufrieden zu stimmen.
4. Er zeigt der Seele mittels Vorstellungskraft verschiedene Erkenntnis- und Handlungsalternativen und deren kurz-, mittel- und langfristige Folgen. Er wiederholt diesen Vorgang, bis die Seele eindeutig abwehrende Signale sendet oder sich für einen Zug entscheidet. Wenn der "Spiele"-Zug erfolgreich war, dann zeigt die Seele Zufriedenheit oder Freude, Begeisterung, Glück. Wenn nicht, dann signalisiert sie Unzufriedenheit, Ärger, Enttäuschung, Verzweiflung. Doch mein seelenfreundlicher Verstand weiß auch in diesem Fall bescheid:
5. Bei Mißerfolg tröstet mein Verstand meine Seele und "baut sie wieder auf", indem er all seine Vorstellungskraft aufwendet, dem Ereignis erfreuliche Seiten abzugewinnen, z.B. mehr Erfahrungswissen, Vorfreude auf eine nächste Gelegenheit, die besser genutzt werden kann...
6. Der Verstand übernimmt die volle Verantwortung und versucht, seinen Fehler herauszufinden. (Das Seelensignal Enttäuschung z.B läßt den Verstand eine Täuschung vermuten)
Und so fährt er stolz und seiner Aufgabe gewiß weiter fort: Er quatscht sich die Synapsen fusselig, und die Seele rechnet chemisch, elektrisch, hormonell, nervös...an ihren Lust/Unlustbilanzen herum. Und da sie leztlich am längeren Hebel sitzt, klickt der Verstand zwischen lustbetonten Seelensignalen und psychologisch-philosophisch-soziologisch-pädagogisch-alltagspraktisch-ethisch-ästhetisch-esoterisch-spirituellen....Analysen der Realität hin und her, versteht, macht Vorschläge, stellt Rückfragen, saugt sich seelenenfreundliche Interpretationen aus der Hirnrinde, nimmt Fehler auf sich, versteht, versteht, versteht....(Augenzwinkerei!).
(vgl. dazu Böhm/Braunmühl 1993, 37f.)
Mein Verstand weiß hier also "seine" Seele zu schätzen, beachtet ihre Signale, versucht sie zu verstehen und erkundet in der Realität Wege, um sie wieder zufrieden zu stimmen, sei es durch Handlungen in der Welt, sei es durch einen ausgiebigen Dialog mit ihr, der so lange fortgesetzt wird, bis sie sich zufrieden gibt. Und wenn die Richtung stimmt, dann verstärken sich die Effekte selbsttätig von Erfolg zu Erfolg.
Abschließend zur Liebe in Freiheit bleibt noch folgendes zu sagen:
"Wenn ein Mensch keine (angenehmen) Erfahrungen mit Liebe in Freiheit machen konnte, hat seine Seele kein Vertrauen zu Liebe in Freiheit. Aber es gibt wohl keinen Menschen, in dem nicht die Sehnsucht nach ihr schlummert, der Wunsch, Liebe in Freiheit erleben zu können, die leise Trauer, sie nicht erlebt zu haben. Denn nach der "Logik" der Seele ist Liebe in Freiheit beglückender als verdiente, erkaufte, erzwungene ...Liebe. Wenn jedoch der Seele diese Erfahrung fehlt, fehlt ihr dieses Vertrauen. Und dagegen hilft keine Anklage oder Reue (...)
Ein aufgeklärter, seelenfreundlicher Verstand weiß, dass die Seele nicht abstrakt belehrbar ist. Jeder Zwang ist nur dumm, jede Kritik ist nur schädlich. Aber Gelegenheiten schaffen für neue konkrete Gefühlserfahrungen - dies ist eine Perspektive, auf die sich Verstand und Seele einigen können, wenn klar ist, dass der Verstand das Lustprinzip nicht bekämpft, sondern ihm dient. Und für einen seelenfreundlichen Verstand versteht sich das ja von selbst.
Was ist ein seelenfreundlicher Verstand? Ein seelenfreundlicher Verstand ist ein demütiger, weiser Berater, der solche Sachen "seiner" Seele sagt" (Braunmühl 1990, 75).

Ich hoffe, dass bis hierher bereits schon deutlich werden konnte, dass mit dem Seele/Verstand-Modell nicht gemeint ist, mensch könne über die bewußte Lenkung von Vorstellungsbildern einen gewollten Gefühlszustand (z.B. Vertrauen statt Eifersucht) quasi per Knopfdruck innerhalb kürzester Zeit herstellen und dass ferner persönliche Glaubenssätze, Werte sowie Teile der Identität einer Person beliebig veränderbar seien. So kann eine wirkliche, substanzielle neue Lernerfahrung nicht funktionieren. Eine wichtige Voraussetzung der Veränderung von Gedanken und Gefühl ist, dass man/frau dies wirklich kongruent will sowie Seele und Verstand sich versöhnen und von daher kooperativ, spielerisch zusammenwirken.
Somit ist Eifersucht nichts Schlechtes oder Böses, sondern meistens die Übertreibung von etwas Gutem. Wir können davon ausgehen, dass sich hinter Eifersuchtsgefühlen immer positive Absichten verbergen, die es zu erkennen gilt. Mit dem Erkennen positiver Absichten können wir uns mit unserem Problem der Eifersucht versöhnen und es würdigen, es also nicht bekämpfen, sondern als einen relevanten bzw. einmal relevant gewesenen Anteil unserer Person akzeptieren. Es kann demnach nicht um Selbsterziehung, sondern nur um Selbstbefreiung gehen. Hierzu gehört die Erkenntnis, dass alle Gefühle, auch unangenehme, ihren (zumindest biographischen erklärbaren) Sinn haben und nicht durch direkte Selbsterziehung (Seelenbohrerei) bekämpfbar sind. Ein solcher Respekt gegenüber der eigenen Innen-Erfahrung ist die wichtigste Voraussetzung für wirklich substantielle (und nicht einfach manipulativ, andressiert-oberflächliche) Veränderungen. Dies ist die Ausgangsbasis für positive Veränderungen. Sich z.B. die Eifersucht einfach zu verbieten, ist dumm. Es gilt: "Nimm dir niemals etwas, das du gebrauchst, bevor du dir nichts Besseres gegeben hast!"
Das Seele/Verstand-Modell eröffnet Wege, prozeßorientiert und kreativ mit inneren und äußeren Zwängen umzugehen und damit etwas für die eigene Selbstbefreiung (Emanzipation) zu tun. So kann der Verstand dafür eingesetzt werden, der Seele Angebote für Handlungsalternativen zu unterbreiten, wenn bestimmte Gewohnheiten nicht mehr für sinnvoll gehalten werden. "Die Seele läßt dies zu, sofern sie sicher ist, dass diese Prozedur ihr nur zum Vorteil dienen kann, weil ihre Zufriedenheit auf jeden Fall den letzten Ausschlag gibt" (Braunmühl 1990, 169).


Weitere Bedingungen für die Bewältigung von Eifersucht

Im folgenden versuche ich aufgrund eigener Erfahrungen mit Eifersucht - im Kontext der "Freien Liebe" - weitere Bedingungen für einen erfolgreichen Umgang mit Eifersucht darzustellen.

Ein Netzwerk erotischer Liebesfreundschaften kann nur dann funktionieren, wenn es vom Geist gegenseitiger Unterstützung getragen wird. Die Qualität dieser so entstehenden Beziehungssysteme entscheidet sich zwischen den Beteiligten. Eine Beziehung ist gut, wenn es allen BeziehungspartnerInnen gutgeht. Sie ist gestört und unheilvoll, wenn es anders ist. Auch wenn nur einer darunter leidet, tragen alle Beteiligten die Verantwortung hinsichtlich ihrer Beziehungsanteile. Also ist Dialog und Verständigung erforderlich. Für mich ist es wichtig, über die jeweilige Liebesbeziehung hinauszudenken, das gesamte umgebende Beziehungssystem mitzudenken, weil ich nicht will, dass durch mein Handeln Unheil entsteht. Es geht schließlich auch darum, mit allen Beteiligten verschiedene 'Spiel-'Regeln zu konstruieren bzw. ein gemeinsames Bewußtsein zu schaffen, das bestimmte Bedingungen und Grenzen für Handlungen definiert: Z.B.: Tue was immer Du willst, wenn Du wahrheitsgemäß handelst und darum weißt, dass sich die Qualität der Beziehungen immer auch zwischen den Beteiligten entscheidet. Und: Jeder und jede hat ein Veto-Recht, um unheilvolle Entwicklungen frühzeitig anzuzeigen, so dass im solidarischem Zusammenhalten neue Wege gefunden werden können. Letztlich bedeutet dies, dass eine solche Art von "freier Liebe" nur in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten sinnvoll zu leben ist, wo dann das, was ich und meine Partnerin erleben, auch auf andere übergehen kann, und wo auf der Basis von Wahrheit, Offenheit und Vertrauen über alle Schwierigkeiten und Konflikte, die sich daraus ergeben, gesprochen werden kann.
Diese Gedanken werden vielleicht durch ein persönliches Beispiel konkret: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie heilsam für meine grundsätzliche Eifersucht folgende Begebenheit war. Eines Tages kam der neue Geliebte meiner Freundin auf mich zu, um mich zum Essen einzuladen. Er machte mir deutlich, dass er von sich aus das Gespräch mit mir sucht und sich für mich und meine Empfindungen, Gedanken usw. interessiert. Wir sprachen uns somit radikal über unsere Gefühle, Erwartungen, Verletzlichkeiten, Ängste usw. aus, so dass zwischen uns eine große Sympathie entstand. Daraus entwickelte sich eine innige Freundschaft, in der wir uns verrückterweise gegenseitig in unserer Liebe zur gleichen Frau unterstützt haben.
Solche Erfahrungen sind notwendig, um der Liebe in Freiheit vertrauen zu können...

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Neue Wege, neue Chancen

Ich denke, der Weg zu mehr Liebe in Freiheit hat nur dann Reichweite, wenn an folgende drei Ebenen angesetzt wird:
1. Ansatz am Individuum
2. Ansatz an der Art des Miteinanders
3. Ansatz an den gesellschaftlichen Bedingungen und Lebensformen

1. Ansatz am Individuum
Hier besteht die Chance, unterentwickelte Persönlichkeitsbereiche zu entwickeln und uns zu befähigen, als souveräne Menschen unser Leben so zu gestalten, wie wir es wollen und können. Die Voraussetzung souveränen Menschseins ist Bildung (Aufklärung), ist reflexive Selbstkonstitution unserer Subjektivität, indem wir uns im Lernen (als Beobachter von eigenen Beobachtungen) bewußt zu uns selbst verhalten. Als souveräne, sich selbst reflektierende Menschen sind wir fähig, kreativ agieren zu können, da wir aufgrund einer auf Theorie und Praxis (sowie Verstand und Seele) bezogenen (kritischen) Reflexivität über ein vielseitiges Vorstellungsmodell unserer Situation verfügen und eine große Bandbreite an Wahlmöglichkeiten für unsere Handlungsweisen sehen. Und als souveräne Menschen wissen wir, dass wir nicht die ganze Wahrheit vertreten und dass unsere Form des Daseins nur einen Teil des Menschseins ausmacht. Diese Blickfelderweiterung führt zum

2. Ansatz an der Art des Miteinanders
Als beziehungsgezeugte, beziehungsgeborene und beziehungsentwickelte Beziehungsmenschen kann Souveränität nicht einzig und allein auf uns selbst bezogen bleiben, sondern muß von anderen mitgetragen werden. Das Verstehen und Denken in Beziehungssystemen gewinnt hier eine wichtige Bedeutung:
Wir können davon ausgehen, dass der Mensch als Beziehungswesen existenziell ein mitmenschlich bezogenes und in Abhängigkeit stehendes Wesen ist. Abhängigkeit müssen wir hier nicht negativ sehen. Denn als souveräne Beziehungsmenschen mit einer flexiblenreflexiven Beziehungskompetenz wissen wir darum, dass wir uns nur in Abhängigkeit zu unserer Mitwelt (selbst-)verwirklichen können. Eine solche ökologische Selbstverwirklichung bedeutet, dass unser Selbstsein nur dann konkrete Gestalt annehmen kann, wenn wir uns in Beziehung zu anderen bewegen. Als Beziehungsmenschen sind wir darauf angewiesen, mitmenschlich beantwortet zu werden und wir können uns somit nur als ein Teil von Beziehungssystemen (Partnerschaft, Familie, Lebensgemeinschaft...) begreifen. Und in einem Beziehungssystem bringt die Veränderung eines Teiles zwangsläufig die Veränderung aller anderen Teile mit sich. Innerhalb eines Beziehungssystems sind also die Beteiligten in ihrem Denken, Fühlen und Handeln nicht unabhängig voneinander, sondern direkt betroffen: Das Tun des einen, ist das Tun des anderen! Auf eine Partnerschaft bezogen kann diese Erkenntnis folgendes bedeuten:
Wenn wir für uns Wachstum (z.B. mehr "freie Liebe") anstreben, so müssen wir uns im eigenen Interesse gleichzeitig darum kümmern, dass unserE PartnerIn in diesem Prozeß mithalten kann, dass sein/ihre Ansprechbarkeit gegenüber unserer Ansprechbarkeit mitwächst. Letztlich bestimmt der gemeinsame Prozeß des wechselseitigen FürsichForderns und Rüchsichtnehmens die gemeinsame Gangart.
Mit diesen einfachen systemisch-ökologischen Kenntnissen wissen wir darum, dass innerhalb des Beziehungssystems eine brüske, einseitige Veränderung meistens Destruktivität begünstigt. Unser Ziel, mehr Liebe in Freiheit zu wagen, ist innerhalb unserer Partnerschaft nur dann realisierbar, wenn wir unsereN PartnerIn zur Koevolution zu gewinnen suchen, um das Beziehungssystem dahingehend gemeinsam zu verändern. Die Beziehungswerte Wahrheit, Offenheit und Vertrauen gewinnen von daher folgende Bedeutung:
Wahrheit: Es gilt: Die Wahrheit beginnt zu zweit! So ist die Möglichkeit, die Wahrheit zu sagen, nichts ohne jemanden, der sie "hören" kann. Das, was letztlich wahr ist, entscheidet sich zwischen den Beteiligten einer Beziehung, also aus der Bezogenheit des gemeinsamen Prozeßes.
Offenheit: Auch Offenheit kann nicht einseitig, sondern immer nur interaktionell gelebt werden. Offenheit ist ein gemeinsamer Prozeß des Sich-füreinander-Öffnens und dies ist immer begrenzt. Ich bin in meinem Mich-Öffnen vom Offensein meines Mitmenschen mitbestimmt. Ich denke, dass Offenheit in allem wichtig ist, was den gemeinsamen Prozeß, die gemeinsame Beziehung betrifft. Das Entscheidende ist hier nicht die wechselseitige Mitteilung von Fakten, sondern vielmehr die gemeinsame Inszenierung einer Atmosphäre, eines Klimas der Offenheit und Transparenz. Aber Vorsicht: Es geht hier auf keinen Fall darum, irgendjemanden zu Mitteilungen, zur absoluten Offenheit zu drängen und auch nicht darum, meine Offenheit irgendjemanden aufzuzwängen! Auch hier gilt: Was ist die Wahrheit der Situation?
Vertrauen: Wo Wahrheit und Offenheit im gemeinsamen Prozeß entwickelt wird, entsteht Vertrauen. Dies ist die entscheidende Grundlegung für Vertrauen. Nur in dieser mitmenschlichen Bezogenheit auf der Basis von Wahrheit und Offenheit kann ich Vertrauen gewinnen.

Ein Beziehungssystem der "freien Liebe" mit mehreren Beteiligten ist - idealtypisch gespro-chen - eine solidarische Lebensgemeinschaft souveräner Menschen, die um ihre mitmenschliche Verflechtungen wissen und ihre Organisation bewußt auf den gemeinsamen, sie übergreifenden Prozeß ausrichten. Ein solche Lebensgemeinschaft hat in jedem Fall ihre systemeigenen Spielregeln und Strukturen, die es möglichst weitgehend zu erkennen gilt, da bei Verdrängung dieser systemeigenen Bedingungen es zu destruktiven Entwicklungen innerhalb der Beziehungen kommen kann. Wichtig ist hierbei, sich zu diesem Beziehungssystem in Beziehung zu setzen (die Aussichtsplattform wechseln - Metaposition beziehen!) und aus dieser Beobachterposition heraus das Gesamtgeschehen zu reflektieren und von da aus mit allen Beteiligten in Verständigung zu treten. Auf dieser Ebene können alle Beteiligten nach und nach durch das Wechselspiel von verständigem Sprechen und reflektierendem Beobachten neue Zusammenhänge des eigenen Verhaltens erleben/erkennen und den eigenen Bewegungsspielraum hierzu sinnvoll abchecken. Die so miteinander lebenden Menschen müssen zudem ihre gemeinsamen Normen (die für ihre mehr oder weniger klar umrissene Lebensgemeinschaft gelten) selbst entwickeln, sich selbst ein verbindliches System von gegenseitigen Verhaltenserwartungen und Rollenmustern (Verhaltenkodex) konstruieren. Hier läßt sich schon erahnen, dass es letztlich darum gehen muß zu fragen, welche Lebensformen und sozialen Bedingungen die "freie Liebe" ermöglichen. Diese abermalige Blickfelderweiterung führt zum

3. Ansatz an den gesellschaftlichen Bedingungen und Lebensformen
Veränderungswürdig erscheinen hier weder der/die einzelne noch die Interaktionen zwischen mehreren, sondern die äußeren Rahmenbedingungen, unter denen die Menschen zusammenkommen und die ihnen bestimmte Umgangsformen nahelegen.
Die herrschenden Organisationsprinzipien unserer Modernisierungsgesellschaft erzeugen relativ unwirtliche Bedingungen für die "freie Liebe" und das Leben in Gemeinschaften (z.B. Partnerschaft, Familie...) überhaupt. Die zunehmende Modernisierung und Individualisierung der gesellschaftlichen Lebenslagen bedeutet: "Die Menschen werden freigesetzt aus den verinnerlichten Geschlechtsrollen, wie sie im Bauplan der Industriegesellschaft für die Lebensführung nach dem Modell der Kleinfamilie vorgesehen sind, und sie sehen sich (dieses setzt jenes voraus und verschärft es) zugleich gezwungen, bei Srafe materieller Benachteiligung eine eigene Existenz über Arbeitsmarkt, Ausbildung, Mobilität aufzbauen und diese notfalls gegen Familien-, Partnerschafts- und Nachbarschaftsbindungen durchzusetzen und durchzuhalten"(Beck/Beck-Gernsheim 1990, 13f.). Individualisierungsprozesse als Freisetzungsprozesse verstanden haben stets ein Doppelgesicht: Einerseits mehr Freiheit, Entscheidung. Andererseits: Zwang, Abhängigkeit, Exekution verinnerlichter Marktanforderungen. So wird der Widerspruch zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Anforderungen einer Lebensgemeinschaft immer gravierender. Denn "das Idealbild der arbeitsmarktkonformen Lebensführung ist der oder die vollmobile einzelne, der ohne Rücksicht auf die sozialen Bindungen und Voraussetzungen seiner Existenz und Identität sich selbst zur fungiblen, flexiblen, leistungs- und konkurrenzbewußten Arbeitskraft macht, stylt, hin und her fliegt und zieht, wie das die Nachfrage und Nachfrager am Arbeitsmarkt wünschen" (15). Die Kontaktmöglichkeiten werden dadurch zwar eher größer weiter, bunter. Insofern kommt das der äußeren LiebesFreiheit entgegen. Jedoch kann diese absolute Vielfalt an Beziehungen die identitätsbildende Kraft einer stabilen Primärbeziehung nicht ersetzen. Es ist beides nötig: Beziehungsvielfalt und dauerhafte Intimität.
Unsere "Risikogesellschaft" ist äußerst ambivalent: Einerseits entwickelt sich unsere moderne Gesellschaft in Richtung auf eine Gesellschaft von arbeitsmarktkonformen Singels, die zwar vielfältige, flüchtige Beziehungen unterhalten, aber gleichzeitig von sozialstaatsfördernden Leistungen, wie z.B. sozialrechtliche Regelungen und Versorgungen, Verkehrsplanung, Kindergartenplätzen- und zeiten, BAFöG-Zahlungen, Rentenmodellen usw., abhängig werden. Diese gesellschaftliche Entwicklung wird stark von einem ökonomisch-ideologischen Motor angetrieben. Die gesellschaftlichen Funktionsprinzipien basieren auf Konkurrenz und individueller Leistung, so dass eine eher ichzentrierte Vermarktung der Person gefördert wird, die somit zur Ware Arbeitskraft wird. Begleitet und unterstützt wird diese Entwicklung durch die Ideologie des autonomen Subjekts, das sich nach dem Motto: "Jeder ist seines Glückes Schmid" alle Erfolge und Mißerfolge als selbstproduziert zuschreibt. Konsequent wird dabei alles Störende, Sperrige, NichtPlanbare (Kinder, Kranke, und alte, pflegebedürftige Menschen) als Sonderfall abgetan. So sollen immer ausgefeiltere Versorgungssysteme und Sondereinrichtungen Reperaturwerkstatt und Verwahranstalt für "störende" Beziehungen sein oder werden. Das sind die Schattenseiten der Modernisierungsprozesse. Deshalb ist schon von daher einem naiven Modernisierungsoptimismus, der die Modernisierungsprozesse normativ wendet und aus faktischen Tatsachen eine (Un-)Tugend für unser aller Weiterleben ableitet, äußerst kritisch zu begegnen.
Unter den gegenwärtigen Verhältnissen und Lebensumständen der meisten Menschen hat die Idee der "freien Liebe" innerhalb verbindlicher Lebensgemeinschaften verwirklicht nur wenig Chancen. Welche praktischen Probleme ergeben sich daraus? Die Probleme sind hier so vielfältig und individuell, wie die beteiligten Personen und deren Lebensumstände. Deshalb ist es schwierig, generell Aussagen zu machen. Ein paar Punkte sollen hier dennoch genannt werden. Das Arrangement der "freien Liebe" wird in der gegenwärtigen Gesellschaft erschwert durch:
- die Ungleichzeitigkeiten und ungleichen praktischen Gelegenheiten,
- fehlende und ungeeignete Treffpunkte (Wohnbedingungen),
- mangelnde und erschwerte Organisation (gute Organisation ist der halbe Erfolg!) in Bezug
auf Kinder, Haushalt, Beruf, Zeit und Energien etc.
So bleiben das Aushandeln, Ausprobieren und Durchhalten in einer 'liebesfeindlich' strukturierten Gesellschaft schwierig und aufwendig. Da ist viel Stoff für Zoff!
Andererseits entstehen aufgrund der Modernisierungsprozesse auch neue soziale Gestaltungschancen und ein potentieller Zugewinn an individueller Entscheidungsfreiheit sowie an Gestaltbarkeit des eigenen Lebens, was nicht unbedingt in einen egozentrierten Individualismus führen muß! Die pauschale Rechnung: Auflösung traditionaler Gemeinschaftlichkeit = Isolation oder: Individualisierung = Zerstörte Solidarität = Egoismus, geht nicht in jedem Fall auf. Denn es ist festzustellen, dass trotz dieser Tendenzen viele Menschen ein hohes Potential an Solidarität und kommunitären Verknüpfungen entwickeln und sich in solidarischen Netzen aufsuchen. So kann es hier nur noch darum gehen, aufgrund eigener Ressourcen und einem solidarischem Netz von Freunden, die einem bei der Hand halten können, neue Formen des Zusammenlebens zu finden, die die "freie Liebe" ermöglichen.Wohin also des Weges?
Eine ganze Generation macht sich auf, im "Projekt der Moderne" (Habermas) mit seiner Marktgesellschaft, seinen Bildungsangeboten, seiner Informationstechnologie, seiner Mobilität, seiner Säkularisierung, seiner Individualisierung und Pluralisierung von Lebenslagen und seinem Autonomieangebot neue Lebensformen zu finden. So werden Liebesbeziehungen zum sozialen Experimentierfeld, deren Beteiligte zwischen neuen und alten Lebensformen und Leitbildern hin und her gerissen werden. Auf diesem Weg gibt es viele Irrungen und Wirrungen und es geht hierbei letztlich darum, im Spannungsfeld widersprüchlicher Bedürfnisse und Anforderungen eigene Lebens und Liebesformen zu arrangieren. So leben die Menschen in einem Kaleidoskop vielfältiger Beziehungsformen, in einem Nebeneinander von familialen und außerfamilialen Formen des Zusammenlebens, in variierenden Elternschaften infolge mehrerer Scheidungen, als Singels, in Wohngemeinschaften, in Living-Apart-Together-Beziehungen etc. Diese große Beziehungsvielfalt geht leider meistens noch auf Kosten der Schwächsten: der Kinder. Alternativkonzepte zur herkömmlichen Kleinfamilie und Ehe dürfen von daher nicht nur auf der Partnerebene konstruiert sein, sondern müssen ein größeres Beziehungsnetzwerk miteinbeziehen.
Ein exemplarisches Beispiel hierfür sind z.B. die sogenannten Lebenshäuser (e.V.) und ähnliche Modelle des Zusammenlebens, die in verschiedenen Regionen Deutschlands (z.B. im württembergischen Trossingen) in letzter Zeit auf sich aufmerksam machten. Die Idee dabei ist, dass ähnlich einer Großfamilie Junge und Alte, Paare und Alleinstehende, Kranke und Gesunde sozusagen als "Wahlverwandte" in den sogenannten Lebenshäusern ihren Platz finden und zusammen leben. Die Räumlichkeiten (Architektur) und Wohnstruktur werden entsprechend so eingerichtet, dass jeder und jede die Möglichkeit hat, die Bedürfnisse nach Freiheit und Geborgenheit, nach Rückzug und Gemeinschaft so zu befriedigen, wie es in einer Kleinfamilie nicht mehr möglich ist. Es werden solidarische Netzwerke entwikkelt, die ein gegenseitiges Unterstützen und einen gelingenden Alltag ermöglichen können. Weitere Projekte versuchen, den Gedanken größerer familiärer Einheiten z.B. über Nachbarschaftsverbände zu verwirklichen. (vgl. hierzu: Publik Forum Nr. 24 vom 17. Dezember 1993, S. 5ff.).
Das Ziel auf dem Weg zu neuen Lebensformen kann nicht ein Zurück zu den alten Lebensformen bedeuten. Eine Kulturentwicklung, ein sozialer Wandel ist immer eine Kombination und Re-Kombination von Altem und Neuem in dem Bestreben, sich mit den Veränderungen und Herausforderungen des Fortschritts zu arrangieren. So sind -wie schon gesagt - alternative Formen des getrennten Zusammenlebens zu erfinden, zu erproben und politisch durchzusetzen, die Beziehungsvielfalt und dauerhafte Intimität, Rückzug und verbindliche Gemeinschaftlichkeit gleichermaßen ohne Konformitätsdruck, Gruppenzwänge ermöglichen. In diesem Sinne finden sich mehr und mehr selbstorganisierte Gruppen zusammen, die eine kommunitäre Lebensgemeinschaft gründen und so in der Tradition der Alternativbewegung stehen und deren Erfahrungen in der Kombination mit neuem Know-how verbinden.
Mit dieser Entwicklung gewinnt auch die Idee der "freien Liebe" ein kräftiges Zukunftspotential, was sich auch schon in verschiedenen Projekten für alternative Lebensformen bemerkbar macht (Vgl. hierzu das Lebensprojekt "Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung - ZEGG": www.zegg.de)

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Literatur


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Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth: Das ganz normale Chaos der Liebe.
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Braunmühl, Ekkehard von: Der heimliche Generationsvertrag. Jenseits von Pädagogik und Antipädagogik, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1986
Braunmühl, Ekkehard von:Zur Vernunft kommen. Eine "Anti-Psychopädagogik", Beltz Verlag, Weinheim 1990
Braunmühl, Ekkehard von/Böhm, Anette: Liebe ohne Liebe. Der Weg zu harmonischen Familienbeziehungen, Düsseldorf 1993

Braunmühl, Ekkehard von/Böhm, Anette: Gleichberechtigung im Kinderzimmer. Der vergessene Schritt zum Frieden, Düsseldorf 1994

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